Gegen 11.00 Uhr trafen wir uns zu winterlichen Temperaturen mit 25 Teilnehmern an der Kreuzblume vor dem Kölner Dom, um eine Führung unter der Leitung von Aaron Knappstein, dem
Präsidenten der Kölschen Kippa Köpp e. V., zu dem Thema „Das Jüdische Köln“ zu erleben. Die Kölschen Kippa Köpp, seit wenigen Wochen förderndes Mitglied des Festkomitees Kölner Karneval, wurden 2017
gegründet und wollten mit dieser Gründung bewusst an die Tradition des früheren jüdischen Karnevalsvereins „Kleiner Kölner Klub“ anknüpfen. In diesem hatten sich in den zwanziger und frühen dreiziger
Jahren des letzten Jahrhunderts jüdische Kölner zusammengefunden, um gemeinsam Fastelovend zu feiern. Mit Beginn der Verfolgung durch das Naziregime hatten die Aktivitäten des Kleiner Kölner Klubs
ein jähes Ende finden müssen.
Aaron Knappstein hatte den Treffpunkt nicht zufällig ausgesucht, sondern berichtete, dass auch der Dom eine jüdische Geschichte hat. So wurden im Mittelalter von vereinzelten Erzbischöfen
Schutzgelder von den jüdischen Einwohnern gefordert, ohne dafür wirklich eine Gegenleistung zu erbringen. Diverse Fenster des Doms wurden von Familie von Oppenheim gestiftet und im Dom befindet
sich bis heute eine Marmortafel, das sogenannte „Judenprivileg“, das verschiedene Rechte von Juden/Jüdinnen im 14. Jahrhundert wiedergibt. Auf der Rückseite des Doms, oberhalb des
Domherrenfriedhofes, befindet sich – wie übrigens auch an einigen anderen deutschen katholischen Kirchen – bis heute ein Regenspeier, der eine Judensau darstellt. Bereits diese Bezeichnung lässt
einen erschrecken, soll die Figur doch den Juden/die Jüdin darstellen, der/die den Christen förmlich aussaugt. Diverse Bestrebungen, diese Figur zu entfernen, wurden auch aufgrund des
Widerstandes der jüdischen Bevölkerung Kölns vereitelt, da man diese als Mahnmal beibehalten wollte.
Nach offiziellen Angaben existiert seit dem Jahr 321 eine jüdische Gemeinde in Köln, obgleich, so Aaron Knappstein, sicherlich schon weitaus früher Juden in Köln gelebt hätten. Mit diesem
offiziellen Datum ist die jüdische Gemeinde jedoch die älteste, die nördlich der Alpen urkundlich belegt ist. In den darauffolgenden Jahrhunderten musste diese jedoch mehrere Pogrome erleben, so
in den Jahren 1096 (übrigens: 1075 war Köln die größte Stadt Deutschlands) und von 1348 bis 1350. Der Höhepunkt der Judenverfolgung war jedoch mit der Machtergreifung durch das Naziregime
erreicht. An die Deportation erinnert noch heute eine Eisenbahnschiene, die in den Boden zwischen der Philharmonie und dem Gebäude Am Domhof 1888 eingelassen wurde und die auf den 1986
eingeweihten Heinrich – Böll – Platz führt. Dieser wurde als Gesamt - Kunstwerk durch den jüdischen Landart – Künstler Dani Karavan entworfen und beinhaltet u.a. einen sechsstufigen Turm, der
Richtung Osten weist, also in die Richtung, in die die jüdische Bevölkerung deportiert wurde. Sechs, um den Turm angepflanzte Bäume, sollen an das grausame Schicksal von sechs Millionen
deportierter Juden/Jüdinnen erinnern.
Anschließend begaben wir uns auf den Alter Markt und hielten auf der Rückseite des heutigen Historischen Rathauses an. Hier verlief in früheren Jahren die Grenze des jüdischen Viertels, wobei
Aaron Knappstein anmerkte, dass es von 1424 bis 1798 keinem Juden/keiner Jüdin erlaubt war, in Köln zu wohnen. Dies führte dazu, dass Juden zwar in Köln arbeiteten, jedoch ihre Wohnung in Mülheim
oder Deutz hatten. Von diesem „Ausschluss“ waren aber nicht nur Juden betroffen – auch evangelische Kölner mussten nach der Arbeit die Rheinseite wechseln, was dazu führte, dass z.B. die bis 1914
selbständige Stadt Mülheim wirtschaftlich starke Einwohner hatte. Erst unter Napoleon war es Juden wieder erlaubt, auch im linksrheinischen Köln ihr Zuhause zu haben.
Nun ging es zum 1987 aufgestellten Frauenbrunnen im Farina – Innenhof, der Frauen im Wandel der Zeit darstellt. Neben einer Kölnerin um das Jahr 1400, befindet sich hier u.a. eine Niederländerin
um das Jahr 1600 und eine Jüdin, um das Jahr 1424. Befremdet schon die Bezeichnung, erschrickt man noch mehr darüber, dass jüdische Frauen in dieser Zeit verpflichtet waren, ihre Haare nach vorne
gepflochten zu tragen und die Zöpfe mit gelben Bändern zusammenzubinden. Schon damals also war die Farbe Gelb ein Hinweis auf den jüdischen Glauben, so wie ihn die Nazis Jahrhunderte später für
den an der Kleidung festzunähenden Nazistern vorschrieben.
Aaron Knappstein informierte, dass die israelische Fahne, so wie sie heute noch das Land Israel repräsentiert, ihren Ursprung bei uns in Köln hat. Diese entstand auf Anregung des Kaufmanns David
Wolffsohn, der von 1888 bis 1914 in Köln lebte
Weiter ging es in die Brückenstraße, dem ehemaligen Textilzentrums Kölns. U.a. war hier das Kaufhaus Salomon angesiedelt. Heute befindet sich das Geschäft von Bogner im Erdgeschoss der
wunderschönen, exakt nachgebauten Immobilie. Über die Nord – Süd – Fahrt blieben wir vor dem heutigen Geschäft Golf House stehen. Hier befand sich in der Vorkriegszeit das Café Silberbach – das
letzte Café, in dem sich zur Nazizeit noch Juden/Jüdinnen zu einem Kaffee treffen konnten und sich auch mit Fluchthelfern besprachen. Der ausschließlich Kölsch sprechende Inhaber Silberbach hatte
sich zur Gewohnheit gemacht, bei Eintritt eines ihm fremden Gastes laut Karnevalslieder zu singen. Dies war für alle anwesenden Gäste ein Alarmsignal, dass möglicherweise ein Spitzel oder ein
Mitglied der Gestapo das Café betreten hatte.
Direkt gegenüber von Café Silberbach stand bis zu deren Niederlegung Kölns erste Synagoge nach 1748. Diese wurde von dem damaligen Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner erbaut, der seinerseits
interessanterweise evangelisch war. Die Synagoge lässt sich noch heute virtuell auf der Homepage der TU Darmstadt ansehen. Jacques Offenbach`s Vater wiederum war Vorbeter in dieser Synagoge. Sein
eigentlicher Name war Isaac Juda Eberst. Als die Stadt Offenbach dem Großherzogtum Hessen zugeschlagen wurde, siedelte Isaac Juda Eberst mit seiner Ehefrau, Marianne Rindskopf, von Offenbach nach
Köln um und nahm erst zu dieser Zeit den Nachnamen Offenbach an. Als siebtes von zehn Kindern kam 1819 Jakob Offenbach zur Welt, der sich erst nach seinem Umzug nach Paris 1833 fortan Jacques
nannte.
Zum Abschluss unseres Rundgangs besuchten wir noch das EL – DE – Haus (gesprochen L – D – Haus), benannt nach seinem Erbauer Leopold Dahmen, eines katholischen Goldwaren – und Uhrengroßhändlers.
Dieses Gebäude diente von 1935 bis 1945 als Zentrale der Gestapo. Im Keller befand sich das Hausgefängnis der Gestapo, in dem politische Gegner und Verfolgte des NS – Regimes verhört und
gefoltert wurden. Im Innenhof erfolgten über 400 nachgewiesene Hinrichtungen – die tatsächliche Anzahl wird weitaus höher liegen. Von hier wurden auch die Millionen Deportationen organisiert.
Seit 1945 wird das Haus von der Stadt Köln genutzt, U.a. wurde 1981 die Gedenkstätte „Gestapogefängnis“ im EL – DE – Haus eingeweiht.
Nach knapp zwei Stunden fand unsere Führung ihr Ende. Ein herzliches Dankeschön an Aaron Knappstein, der uns in dieser Zeit einen so guten, aber auch einfühlsamen Einblick in das jüdische Köln
der Vergangenheit gab. Erschreckend jedoch und beschämend zugleich, dass unsere jüdischen Mitbürger gerade einmal zwei Generationen nach dem Ende des Holocausts auch in einer Stadt wie Köln, die
sich doch ihrer großen Toleranz rühmt, schon wieder Angst um ihre Sicherheit haben müssen. Ein Zustand, der für Niemanden tolerabel sein darf und der hoffentlich auch durch die Aufnahme in den
Kreis der dem Festkomitee Kölner Karneval angeschlossenen Gesellschaften etwas gelindert wird.
Michael Melles